Culture-Technology-Fit – Teil 1

Bestie-Notre-Dame

Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor für IT-Systeme.

In Zeiten der Digitalisierung sind IT-Systeme integraler Bestandteil jedes Unternehmens. Und ihre Möglichkeiten und Bedeutung nehmen zu. Da sind Implementierungsprojekte für neue Systeme in vielen Unternehmen an der Tagesordnung. Doch beinahe genauso oft wie sie mit hehren Zielen und hohen Erwartungen gestartet werden, stolpern sie über interne Hürden, Akzeptanzprobleme, Widerstände, verkrustete Strukturen, Lähmschichten oder wie man das Kulturmonster sonst noch so nennt. In diesem dreiteiligen Beitrag beleuchte ich die vielschichtige Beziehung zwischen Kultur und Technologie – den Culture-Technology-Fit – und gebe Hinweise zum Umgang mit seinen Herausforderungen.

Kultur als Implementierungshürde

Sie kennen das. Da sieht die Entwicklungsleiterin nicht ein, warum sie ihre Materialien plötzlich mit drei Wochen Vorlaufzeit und vier Genehmigungsschleifen im top-integrierten und hocheffizienten ERP-System bestellen soll. Weil sie das bisher auch nicht brauchte, sondern tun und lassen konnte, was sie wollte. Oder der Teamleiter will seine Mitarbeiter nicht im innovativen Feedbacktool beurteilen. Weil er bisher auch wunderbar ohne Feedback ausgekommen ist. Oder die Vertrieblerin trägt nach der Messe ihre neu gesammelten Kontakte nicht in das schicke und sogar mobile-fähige CRM ein, weil sie gar nicht weiß, was sie dann mit dem beeindruckenden Stapel Visitenkarten machen soll.

Was hier nicht zusammenpasst, sind die Technologie einerseits und die Unternehmenskultur andererseits. Der Culture-Technology-Fit fehlt. Man hat die fachlichen Anforderungen an das zu implementierende IT-System sorgfältig definiert, mehrere Anbieter mit ihren Produkten antreten lassen und sich am Ende für das passendste, billigste oder das mit dem nettesten Vertriebler entschieden. Jetzt gilt es “nur” noch, das perfekte System im – naja, leider nicht ganz so perfekten – Unternehmen zu implementieren. Damit das klappt, ist im Projektplan auch ein Stream “Change Management” vorgesehen. Hierunter fallen Infoveranstaltungen, begleitende Kommunikation, Anwenderschulungen und langfristig verfügbare FAQs und E-Learnings, damit auch diejenigen Mitarbeiter das Tool beherrschen lernen, die nach der erfolgreichen Systemimplementierung ins Unternehmen eintreten. Alles richtig gemacht. Oder?

Vier Wochen nach Go-Live wird dem Management berichtet, dass das System erfolgreich implementiert wurde, alle Anwender geschult wurden und die erhofften Optimierungseffekte somit bald eintreten sollten. Wäre da nicht das Kulturmonster…

Kultur ist mehr als die Summe der Schrulligkeiten aller Mitarbeiter

Die einfachste und nach wie vor gängige Erklärung für die fehlende Akzeptanz neuer Systeme durch ihre Nutzer bzw. “Nicht-Nutzer” sind individuell begründete Widerstände der einzelnen Mitarbeiter. Die eine fühlt sich in ihrem Freiraum beschnitten. Der andere hat bereits vor Jahren beschlossen, dass es sich so kurz vor der Rente nicht mehr lohnt, sich mit jeder neuen Sau zu beschäftigen, die durchs Dorf getrieben wird. Die dritte steckt nach Abschluss des Implementierungsprojekts noch mitten in der Abwehrphase der ganz normalen Change-Kurve. Also wird weiter fleißig der Nutzen des Systems per Führungskräftekommunikation in die Mitarbeiter hineinkaskadiert und es werden Sanktionen für die Nicht-Nutzung verhängt – im besten Fall. Was diese Maßnahmen jedoch übersehen, ist dass hier nicht die individuellen Schrulligkeiten einzelner Mitarbeiter am Werk sind, sondern etwas viel mächtigeres namens UNTERNEHMENSKULTUR.

Der Organisationspsychologe Edgar Schein definiert diese als

“Pattern of shared basic assumptions learned by a group as it solved its problems of external adaption and internal integration, which has worked well enough to be considered valid and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems.”

zu Deutsch:

„Ein Muster gemeinsamer grundlegender Annahmen einer Gruppe, das diese beim Lösen von Problemen der externen Anpassung und des internen Zusammenhalts erlernt hat, und das gut genug funktioniert, um von dieser Gruppe als gültig angesehen zu werden, und deshalb neuen Mitgliedern als die richtige Art der Wahrnehmung, des Denkens und des Fühlens bezüglich dieser Probleme gelehrt wird.“

Kultur wirkt also wirklichkeitskonstruierend, identitätsstiftend, normativ und autopoietisch. Die Kultur eines Unternehmens bestimmt, wie Probleme (in diesem Unternehmen) gelöst werden. Jede Einzelperson, die vorschlägt, die Probleme zukünftig anders zu lösen – z.B. durch den Einsatz einer bestimmten Technologie – wird entweder ausgegrenzt oder aufgeklärt, dass dies nicht die richtige Art ist, Probleme zu lösen. Der Satz “Das haben wir schon immer so gemacht” ist also kein Ausdruck von Engstirnigkeit, sondern ein Zeichen dafür, dass Unternehmenskultur auch dann handlungsbestimmend wirkt, wenn die Gründe für ihre impliziten “Vorschriften” dem einzelnen nicht mehr rational zugänglich sind. Was hier fehlt, ist nicht der digitale Mindset einzelner, sondern der Culture-Technology-Fit, die Passung zwischen dem implementierten System und der Unternehmenskultur.

Technologie und Kultur: Eine vielschichtige Beziehung

Damit Sie nicht in diese Sackgasse laufen, sollten Sie sich bei der Auswahl eines neuen Systems fragen, welche impliziten Annahmen Ihrer Kultur durch die im System verankerten Prozesse infrage gestellt werden. In den eingangs erwähnten Beispielen handelt die Entwicklungsleiterin nach der bis dahin gültigen Maßgabe “Forschungsarbeit erfordert Freiraum und Kreativität. Daher lassen wir unseren Entwicklern bei der Bestellung von Materialien freie Hand.” Der feedbackunwillige Teamleiter hält sich an die kulturelle Maxime “Wenn ein Mitarbeiter Probleme macht, stelle ich einen neuen ein, der keine macht.” Und die CRM-averse Vertrieblerin hält sich an den Grundsatz: “Nur geheime Kontakte sind gute Kontakte, weil sie mich unersetzlich machen!”.

Manche dieser kulturellen Handlungsmaximen mögen in der Vergangenheit ein Erfolgsfaktor für das jeweilige Unternehmen gewesen sein. Andere stoßen durch veränderte Rahmenbedingungen an ihre Grenzen. Entscheidend ist, sie zu kennen und im Implementierungsprojekt zu berücksichtigen. Dazu gehört, genau diese Unterscheidung zu treffen: Welche Grundsätze unserer Unternehmenskultur sollen auch mit einem neuen System erhalten bleiben und welche nicht? Ist die Kultur also Gegenstand oder Bewahrungsziel der Veränderung? Geht es bezüglich des Culture-Technology-Fit darum, eine Passung des Systems mit der bestehenden Kultur sicherzustellen oder durch das System eine neue Zielkultur zu erreichen? Je nach Problemstellung muss anders mit Kulturfragen umgegangen werden. Wie das im jeweiligen Fall aussieht, erfahren Sie in Teil 2 und 3 dieser Beitragsreihe.

Sie stehen vor der Auswahl und Implementierung eines IT-Systems in Ihrem Unternehmen und fragen sich, wie Sie die Kultur angemessen im Projekt berücksichtigen können? Oder Sie stecken schon mitten in der Implementierung und stehen vor Kulturhürden? Dann sprechen Sie mich an! Ich berate und begleite Sie gerne in diesem Projekt.

Quelle: Schein, E. (2010): Organizational Culture and Leadership, 4. Aufl., San Francisco: Jossey-Bass, S. 18.

Bild: Unsplash, Javier M.

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