Wie sie als Führungskraft Luft unter die Flügel ihrer Argumente bekommen
Alle haben die gleiche Motivation, alle das gleiche Denken, alle das gleiche Ziel. Jeder hat Verständnis für den anderen. Schön wär‘s.
Möglicherweise wünschen sich das viele Führungskräfte heimlich von der guten Fee, sofern sie an sie glauben. Aber die gute Fee hat längst anderes zu tun und lässt die Führungskräfte mit hunderten Unterschieden in den Köpfen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alleine.
Bei Organisationsentwicklung ist das Verstehen und Initiieren von Veränderungsprozessen absolut notwendig. Die Makroebene. Doch um wirksame Veränderungsprozesse einzuleiten muss man auch bei den Kollegen und Mitarbeitern Gehör finden. Sie benötigen Verständnis für Ihre Ideen. Diese Mikroebene ist für Changeprozesse genauso wichtig. Darauf konzentrieren wir uns in diesem Artikel.
Von keiner bis zu ehrgeiziger Motivation, vom simplen bis zum verqueren Denken, alles ist in einer Organisation vorhanden. Ganz zu schweigen von den Zielen. Wär‘ ja auch zu schön, wenn alle im Unternehmen den Ehrgeiz hätten, die Konkurrenz alt aussehen zu lassen.
Dass sich alle Führungskräfte mit diesen großen Unterschieden herumschlagen müssen, ist ein Allgemeinplatz. Bekannt ist aber auch, dass es möglich ist, einen Spirit im Unternehmen zu entfachen, der sich wie ein Wunder anfühlt. Gute Qualität und hippe Innovation geben dem Unternehmen Auftrieb.
Jeder, der sich nur ein kleines bisschen mit Menschen auskennt, weiß dass solche Höhenflüge nicht mit Zwang, Gleichschaltung oder Druck zu bewirken sind. Die Ergebnisse solcherart Maßnahmen sind Anpassung, Resignation und Mutlosigkeit. Die Mitarbeiter werden zu Bewohnern und nicht zu Gestaltern.
Neben Vertrauen, großen Freiheitsgraden und dem festen Glauben, dass aus diesen Werten Gestaltungsfreude und Motivation erwachsen, braucht es auch eine gemeinsame Wirklichkeit.
Sollten Sie jetzt über den Begriff “gemeinsame Wirklichkeit” stolpern, machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden gleich wieder Tritt fassen. Die systemische Transaktionsanalyse hat da ein paar prima Konzept-Ideen. Lassen Sie uns mal damit starten.
Ein Konzept für unterschiedliches und gleiches Verständnis
Neben der Idee, dass Menschen in unterschiedlichen Situationen sehr unterschiedliche Anteile ihres Ichs zeigen (Wer bin ich und wenn ja, wie viele), braucht es auch ein verbindendes Element. Wenn diese Verbindung nicht gelingen würde, hätten wir eine gespaltene Persönlichkeit und wären krank. Diese Verbindung nennt die Transaktionsanalyse “den Bezugsrahmen”.
Der Begriff Rahmen erinnert schon daran, dass da ein Bild eingerahmt wird, das wir uns von uns machen und von dem wir auch gerne hätten, dass andere uns genauso sehen. Der Bezugsrahmen fasst zusammen, wie wir uns selbst, wie wir die Anderen und wie wir die Welt sehen, in der wir leben. Dabei wirkt er wie ein Filter, der aus der Wirklichkeit nur das durchlässt, was ins Bild passt.
Wir haben also ein Bild von der Wirklichkeit, das nicht mit den uns umgebenden Realitäten übereinstimmt.
Übrigens, auch nicht mit der Wirklichkeit in den Köpfen von anderen Menschen. In unserer Alltagssprache gibt es vielfältige Belege dafür:
- “es kann nicht sein, was nicht sein darf”
- “das kann doch nicht wahr sein”
- “den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen”
- “das kann ich mir nicht vorstellen”
Ausblendungen von möglichen Wahrnehmungen haben wir deshalb, weil unser Bezugsrahmen sie nicht zulässt. Dieser Filter ist streng, weil er dafür sorgen muss, dass unser Ich Ich bleibt. Das hat zur Folge, dass wir unser Bild über uns selbst oder das Bild über Andere nicht so leicht verändern.
“Das hätte ich nicht gedacht…”
Das ist ein Ausdruck dafür, dass der Bezugsrahmen da etwas durchgelassen hat, was bisher nicht gut ins Bild gepasst hat. Das zeugt von einem eher anpassungsfähigen, flexiblen Bezugsrahmen. In der Transaktionsanalyse sprechen wir vom eher “harten” oder vom “flexiblen” Bezugsrahmen. Menschen mit einem harten Bezugsrahmen lassen sich kaum von Tatsachen irritieren. Einfach weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Manche würden sie auch stur nennen.
Man kann also erkennen, dass es für die guten Argumente einer Führungskraft, oder einer Kollegin nicht so leicht ist, einen Platz im Bezugsrahmen ihres Gegenübers zu ergattern. Gottseidank gibt es die Möglichkeit Gleichartiges im eigenen und im Bezugsrahmen des Gegenübers zu entdecken. Dort können wir “ankoppeln”, weil wir verstehen und verstanden werden.
“Wir verstehen uns gut.”
Das ist ein schöner Ausdruck für zwei gut angekoppelte Bezugsrahmen von zwei Personen.
Möchte man, dass das eigene Argument eine Chance hat, beim Gegenüber akzeptiert zu werden, muss man also gut angekoppelt sein. Ankoppeln steht auch für Beziehung und Bindung aufbauen.
Wer Bindung aufgebaut hat und angekoppelt ist, teilt aber nur einen sehr kleinen und allgemeinen Bereich des Bezugsrahmens. Wenn man sich beim Thema “Essen in der Kantine” einig ist, bedeutet dies noch längst nicht, dass das auch bei Qualitätsergebnissen in der Produktion der Fall sein muss. Der Prozess des “Verstehen wollens” muss also weiter gehen.
Ankoppeln und andere verstehen: So kann es gelingen
Fragen sind der goldene Weg zum Verständnis. Fragen Sie Ihre Kollegin oder Ihren Mitarbeiter ob und warum sie ein Problem mit Ihrem Argument haben. Je besser Sie verstehen wie sie denken und wie ihre Problemkonstruktion aufgebaut ist, umso besser verstehen Sie, wie Ihr Argument eine Chance hat, im Bezugsrahmen Ihres Gegenübers Einlass zu finden.
Irgendwann aber kommt der Punkt, wo das sperrige Argument dem Bezugsrahmen Ihrer Kollegin oder Ihres Mitarbeiters gegenübergestellt werden soll. Diesen Vorgang nennen wir in der Transaktionsanalyse “Konfrontieren”. Am besten wirkt die Konfrontation, wenn Ihr Gegenüber verblüfft feststellt, dass das angebotene Argument ja doch in den eigenen Bezugsrahmen (ins eigene Bild) passen könnte.
Gibt es noch etwas Sperrigkeit (Platzprobleme) braucht es noch ein paar Interventionen um die anfängliche Problemkonstruktion vollständig aufzulösen.
Schauen wir uns das einmal an einem praktischen Beispiel an.
Anwendungsbeispiel zum Verständnis erzeugen
Die Controllerin (A)nnika hat die Aufgabe, dem Teamleiter (B)erti die schlechter gewordenen Qualitätszahlen zu überbringen. Mit der Idee, dass diese Information etwas im Verhalten von Berti verändert. In Bertis Bezugsrahmen ist das Bild gezeichnet, dass nichts wichtiger ist als die Produktionsmenge. Masse vor Klasse also.
Annika will zunächst ankoppeln: “Hi Berti, ihr habt ganz schön Druck im Moment. Ich sehe ihr müsst ordentlich ranklotzen.”
Berti: “Das kann man wohl sagen, wir kommen kaum hinterher:” Annika will verstehen, wie Berti mit dem Gegeneinander von Menge und Qualität klarkommt. Sie stellt dazu Fragen:
- “Wie kriegst du das eigentlich hin, bei dem Druck noch auf die Qualität zu achten?”
- “Was denkst du, wenn du merkst, dass die Qualität leidet?”
- “Was glaubst du wird passieren, wenn dein Chef mit schlechten Qualitätszahlen konfrontiert wird?”
Schließlich, wenn sie besser verstanden hat, wie Berti mit dem Problem umgeht, wird sie ihn mit den schlechter gewordenen Qualitätszahlen konfrontieren. Aufgrund des vorausgegangenen Dialogs über Fragen, wird Berti der Druck klarer. Mit einigen zusätzlichen Argumenten über den wahrscheinlichen Verlauf in der Zukunft, interveniert Annika weiter und schafft Platz für die schlechteren Qualitätszahlen in Bertis Bezugsrahmen.
Wenn das mal so einfach wär‘, könnten Sie jetzt entgegnen. Nun, einfach ist es nicht, aber das kann doch eine inspirierte Controllerin oder Führungskraft nicht davon abhalten, Platz in ihrem Bezugsrahmen dafür zu schaffen.
Experimentieren und trainieren macht einen Bezugsrahmen flexibel. Das eigene Bild von Sich, den Anderen und der Welt zu erweitern, bringt Weitsicht.
Auf diese Weise können Sie Luft unter die Flügel ihrer Argumente bekommen.
Über den Autor
Bernd Taglieber ist Coach, Berater und Agile Facilitator. Neben seiner langjährigen Beratungs- und unternehmerischen Tätigkeit ist er als Buchautor tätig. Zusammen mit Steffen Raebricht und anderen schreibt er für die Plattform transaktionsanalyse-online.de.